Manchmal müssen heiße Kartoffeln herhalten, um einem Chor die passende Art zu singen zu vermitteln. Gerd Weimar will mit seinem Luther-Projekt den Menschen seiner Region das Leben Martin Luthers nahebringen.
„Stellt euch vor, ihr habt eine heiße Kartoffel in der Hand“, sagt Gerd Weimar. „Die darf euch nicht aus der Hand fallen.“ Weimar ist Kirchenmusikdirektor in Arnsberg und probt mit seinem Projekt-Chor. „Es geht um Leben und Tod. So müsst ihr diese Stelle singen.“ Der Chor legt nochmal los. Eindringlich singt er das Stück. Es handelt von den vielen Völkern, denen Gott das Heil bringt.
Seit rund zwei Stunden probt der Chor im ökumenischen Kirchenzentrum in Meschede für das Luther-Projekt – eine Mischung aus Schauspiel und Musikdarbietung.
„Damit wollte ich Martin Luther für alle Menschen in unserer Region zugänglich machen“, sagt Gerd Weimar. Er hat dafür keine neuen Stücke komponiert, sondern legt Wert auf die alten Luther-Lieder.
„Das Lied ,Vom Himmel hoch‘ ist wie moderner Rap“, sagt er. „Die Musik der Renaissance ist flott und beschwingt. Nur werden die Stücke heute meist choralmäßig und getragen gesungen.“
In der Probe ist nun „Vom Himmel hoch“ dran. Erst wird das Lied einmal gemeinsam gesungen. „Der Sopran hat jetzt mal ‘ne lange Pause“, sagt der Kirchemusikdirektor und wendet sich den Basssängern zu. Er singt mit ihnen, erklärt dann genau, wann die Pausen zum Luftholen sind und sie singen wieder. Und wieder. Weimar ist zufrieden. „Jetzt gemeinsam mit dem Tenor“, fordert er auf. Es wird geübt und geübt. Er führt den Chor an und klatscht den Takt. Er klatscht, doch niemand singt. „Vor lauter Klatschen, weiß ich jetzt den Einsatz nicht“, sagt ein Tenorsänger. Alle lachen. Auch der Chorleiter. Beschwingt geht es weiter.
Heute proben die beiden Chöre – der große am Vormittag, der Kammerchor am Nachmittag. Die Schauspieler haben frei. Das Stück, in dem sieben Stationen aus Luthers Leben dargestellt werden, hat er gemeinsam mit seinem Drehbuchteam geschrieben. „Ich wollte nicht nur einfach ein Konzert mit dem Chor geben, sondern mit dem Stück Luther als Person den Menschen nahebringen.“ Für den Luther-Darsteller hatte er sofort jemanden vor Augen: Bodo Meier, Pfarrer in Herscheid. „Er hat auch sofort zugesagt und am Drehbuch mitgeschrieben.“
Inzwischen wartet das Mittagessen auf die Sängerinnen und Sänger. Doch Gerd Weimar möchte noch ein Lied durchsingen. „Ehrlich, danach seid ihr fertig. Zumindest die, die nicht im kleinen Chor mitsingen.“ Blätterrascheln, alle greifen zu ihren Noten und stehen auf. Auch nach drei Stunden sind sie noch mit Konzetration dabei.
Geschafft. Noch ein paar Absprachen werden getroffen – Kleiderordnung beim Auftritt und der nächste Probentermin. Über die Hälfte der Sängerinnen und Sänger verabschiedet sich, die anderen wenden sich dem Mittagessen zu, das angeliefert wurde und nun dampfend auf dem Tisch steht.
Hannah Fricke (35) und Katharina Loot (26) gehören zu denen, die nach der Mittagspause noch weiterproben. Für beide war klar, dass sie bei dem Projekt mitmachen. „Wir machen immer alles mit“, sagt Katharina Loot aus Arnsberg. Sie singt seit ihrer Jugend im Projektchor unter Gerd Weimars Leitung. „Ich stehe total auf alte Musik. Gerade aus der Renaissance – die hat Charakter.“ Hannah Fricke ist vor Kurzem von Warstein nach Wadersloh (Kirchenkreis Gütersloh) gezogen. „Aber ich wollte trotz der Entfernung auf jeden Fall mitmachen“, sagt sie. Sie singt und spielt bei den Blechbläsern mit.
Beiden gefällt die Idee, dass der Chor diesmal nicht die Hauptsache ist, sondern Teil eines größeren Geschehens. „Außer den beiden Chören und den rund 25 Schauspielern haben wir noch eine Bläsergruppe und Musiker, die Instrumente spielen wie Laute, Flöte, Geige, Cello und Tamburin“, schwärmt Katharina Loot. Hannah Fricke findet es gut, dass das Angebot über die Kirchenkreisgrenzen von Arnsberg und Soest hinausgeht. „Es sind auch Leute aus Dortmund, Hamm und Brilon dabei. Außerdem sind auch etliche Katholiken dabei.“
Jetzt aber genug geredet. Die beiden Sängerinnen wollen sich noch stärken, schnell noch ein bisschen Lasagne essen und einen Kuchen zum Nachtisch. Dann geht es auch schon weiter. Gerd Weimar hat für den kleineren Chor in den nächsten beiden Stunden noch einiges vor. „So lohnt sich für mich die lange Anreise“, meint Hannah Fricke.
Der Kirchenmusiker weiß den Einsatz der vielen Mitwirkenden zu schätzen. „So viel ehrenamtliches Engagement ist toll.“ Rund 140 Männer, Frauen, Kinder und Jugendliche zwischen 12 und 75 Jahren werden am 30. Oktober um 16 Uhr in der Wiesenkirche in Soest mitwirken. Und selbst das Publikum soll miteinbezogen werden – „als Teil des Reichstages zu Worms und singen darf es auch.“
Wer nicht gern singt, findet vielleicht beim an die Aufführung anschließenden westfälischen Abendmahl das richtige für sich: Bei Pumpernickel mit Schinken und Bier können Besucher, Sänger und Schauspieler ins Gespräch kommen.
Das Luther-Projekt: Sonntag, 30. Oktober, um 16 Uhr in der Wiesenkirche in Soest. Eintritt: 10 Euro für Erwachsene, 5 Euro für Schüler bis 18 Jahre. In Meschede wird das Luther-Projekt am Samstag, 18. Februar 2017, aufgeführt.
Karin Ilgenfritz
Aus der Printausgabe – UK 44 / 2016