Wir reisen durch die Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach – mit der Hilfe von bekannten Musikwissenschaftlern, Sängern und Dirigenten. Bach hat diese Passion für den Gottesdienst am Karfreitag in der Thomaskirche zu Leipzig geschrieben. Er hat sie in zwei Teile geteilt. Der zweite Teil behandelt die Verurteilung, die Kreuzigung und das Begräbnis Jesu.
Die Geschichte nimmt ihren Lauf
Wir befinden uns jetzt am Beginn des zweiten Teils, bei dem die Eröffnungsworte „Ach, nun ist mein Jesus hin“ einen sanfteren Ton in Bachs Musik einleiten.
Joshua Rifkin: „Der dramatischste Teil der Handlung hat bereits stattgefunden, wir blicken kurz zurück und verfolgen dann den Prozess und die Kreuzigung Jesu. Die ganze Stimmung ist nicht nur dunkler geworden, sondern in gewisser Weise auch viel, viel ruhiger – die Unausweichlichkeit des Geschehens hat von der Geschichte Besitz ergriffen.“
Das Weinen des Petrus
Kenneth Slowik: „Diese Arie für Alt und Solo-Violine, ‚Erbarme dich‘, erklingt in dem Moment, als Petrus zum dritten Mal aus Angst Jesus verleugnet hat. Wie es vorhergesagt war, kräht der Hahn. In den sehr melodiösen, fast Arioso-Passagen im Rezitativ des Evangelisten heißt es: ‚Und [er] ging heraus und weinete bitterlich.‘ “
Ton Koopman: „Selbst ein großes Genie hat Momente, in denen es größer ist als groß. Ich denke, das ist einer dieser Momente, eine der fantastischsten Melodien, die Bach je geschrieben hat.“
Ann Monoyios: „Die gezupften Bassnoten sind wie Tränen des Sängers, denn der Text lautet: ‚Erbarme dich um meiner Zähren (=Tränen) willen.‘ “
Jesus am Kreuz – Die Rolle der Chöre
Joshua Rifkin: „Es gibt eine Arie, wenn Jesus gekreuzigt wurde und die Altistin singt, dass Jesus seine Hand ausgestreckt hat, um uns zu fassen. Der zweite Chor fragt daraufhin: ‚Wo? Wo sollen wir hinsehen? Wo passiert das?‘ Genau so wie es im Eröffnungschor nachgefragt hat, als die Geschichte erzählt, dass Jesus das Kreuz trägt. Es ist also ein Wachrufen des Eröffnungschores, aber in ganz anderen Umständen.“
Die letzten Worte Jesu am Kreuz
Christoph Wolff: „In dem Abschnitt, wo Jesus seine letzten Worte spricht, nimmt der Evangelist diese Worte auf und übersetzt sie ins Deutsche: Eli, eli, lama sabathani – mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.“
Bach und Shakespeare
Michael Marissen: „Jesus ist gestorben, der Sänger singt „Mache dich, mein Herze rein, ich will Jesum selbst [in mir] begraben“. Das Stück unterscheidet sich musikalisch sehr stark von allem anderen, was los ist.“
Ton Koopman: „Bach ist – wie Shakespeare – jemand, der begreift, dass die Spannung in einem Drama nicht unbegrenzt anhalten kann. Er muss die Stimmung verändern. Es braucht einen anderen Rhythmus, ein anderes Tempo, eine andere, fröhlichere Musik. Darin spiegelt sich der Glaube, dass alles gut werden wird. Für mich ist diese Stelle das Happy End.“
Ian Bostridge: „Man ist an einen Punkt gekommen, der so voller Resignation ist, aber gleichzeitig gibt es bereits eine Idee von dieser bedeutenden Veränderung, die durch dieses Ereignis eintreten wird. Man hat sich in ein anderes Stück hineinbewegt.“
Der Schlusschor
Ton Koopman: „Der letzte Chor, ‚Wir setzen uns mit Tränen nieder‘ ist einfach umwerfende Musik.“
Joshua Rifkin: „Es ist ein sehr dunkler Satz und natürlich auch ein dunkler Moment in der Geschichte. Die Matthäus-Passion am Karfreitag war gefolgt von der Osterkantate am Oster-Sonntag. Bach konnte die Matthäus-Passion so offen enden lassen, weil die Auflösung zwei Tage später passieren würde.“
Christoph Wolff: „Bach nimmt hier die Rolle eines Pfarrers ein. Ein Pfarrer, der seine Zuhörer anspricht, nicht nur auf einer intellektuellen Ebene.“
Die Matthäus-Passion. Am 13. März um 17.00 Uhr in der Abteikirche Königsmünster Meschede.